In der Region des heutigen Albanien wurden Weinkerne gefunden, deren Alter auf 4.000 bis 6.000 Jahre geschätzt wird. Kulturdenkmale und antike Autoren wie Aristoteles, Strabon und Plinius weisen auf Weinanbau und -konsum in der Antike und im Mittelalter hin. Für Städte wie Durrës, Drisht, Shkodra und Ulqin/Ulcinj (heute Montenegro) war der Weinanbau im Spätmittelalter eine wichtige Einnahmequelle.
Die teilweise Islamisierung der Albaner nach der osmanischen Besetzung drängte den Weinanbau wegen des muslimischen Alkoholverbotes zurück, beendete ihn aber nicht. Evliya Çelebi erwähnt noch im 17. Jh. die Winzer als wichtige Berufsgruppe in Shkodra. Muslime hatten übrigens kein Problem damit, in der Weinlese und -produktion zu arbeiten, selbst wenn sie den Konsum für sich selbst ablehnten, was bei weitem nicht jeder Muslim so eng sah; die Kleinstadt Leskovik war ein Weinbauzentrum, obwohl zu osmanischer Zeit zwei Drittel der Einwohner Muslime waren. Auch die Reiseberichte von West- und Mitteleuropäern (u. a. Boué, Degrand, Bourcart) heben den Weinanbau hervor.
Am Vorabend der Unabhängigkeit lag die Weinproduktion allerdings so am Boden, dass in den Statistiken der österreichisch-ungarischen Konsulate Wein kaum als Exportgut, vielmehr als Importware verzeichnet ist. Als Ursachen für die geringe Weinproduktion werden Pflanzenkrankheiten und Krieg genannt. Anders als z. B. der Olivenanbau ist der Weinbau sehr arbeitsintensiv; die Reben vertragen keine Vernachlässigung. Auch im Außenhandel des Königreiches in den 30er Jahren spielte die Ausfuhr von Wein keine Rolle, wohl aber die Einfuhr. Dabei fällt auf, dass der albanische Weinbau in den Studien zur albanischen Wirtschaft allenfalls eine ganz marginale Rolle spielt. Für 1926/27 gibt das Handbuch „Shqipria me 1927“ von Teki Selenica nur 6.400 Tonnen Traubenproduktion an.
Nach dem Krieg wurde der Weinbau in Fläche und Produktion stetig ausgebaut, aber nicht unbedingt die Qualität erhöht (s. Tabelle). Dabei müssen Trauben nicht unbedingt zu Wein verarbeitet werden: 2007 wurden zwar 105.000 Tonnen Trauben geerntet, davon aber nur 17.000 t zu Wein weiterverarbeitet. Die meisten Trauben wurden gegessen, ein Teil natürlich auch kommerziell oder privat zu Raki rrushi (Traubenschnaps) verarbeitet.
Mehr Trauben, aber wenig Wein
1959 bereiste eine ungarische Volkskundler-Gruppe Albanien. Ein Ergebnis war eine Studie von Bertalan Andrásfalvy, der 1990–93 Bildungsminister in der ersten postkommunistischen Regierung Ungarns wurde. Er unterscheidet die Anbauzonen Nord-, Süd-, Südost- und Mittelalbanien und innerhalb dieser Zonen kleine Regionen, die sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Terminologien beim Weinbau besitzen. Weinbau fand nicht nur an Weinbergen statt, sondern auch (allerdings kaum im Norden) an Gerüsten, Bäumen und Pergolas im privaten Garten oder an der Hauswand. Dies auch in muslimischen Familien, von denen viele die Trauben jedoch nicht zu Alkohol verarbeiteten oder aber den Wein exportierten.
Andrásfalvys detaillierte Beschreibung ist für Sprachforscher interessant, weil er zu sämtlichen Begriffen auch die albanische Form der jeweiligen Region angibt. Folgende Sorten, die in Weingärten gezogen wurden, listet er auf: Kallmete und Koplikë (in Shkodra und Zadrima), Vlosh (in Himara und Narta), Kallotri (in Murzina), Rrush vendit oder Rrush venës (d. h. lokale Traube, in Pogradec und Zheja e Poshtme) bzw. Rrush vreshti (d. h. Weinbergtraube, in Labinot), Rrush lepuri (d. h. Hasentraube, in der Region Korça), Rrush rreshnik (in Leskovik), Sinambel (in Pogradec, Përmet und Berat), Serin (in Pogradec, Region Korça), Pulzë (in Murzina und Berat), Mjaltës (in Leskovik), Debina (in Leskovik), Kercë und Zelpër (in Përmet). Die an Bäumen, Gerüsten und Pergolas gezogenen Sorten nannten sich Rezigi, Razaki, Rozagi o.ä.
Im Gegensatz zum Schnapsbrennen, einer relativ einfachen Technik, bei der die komplette Weinernte vergoren und anschließend zu Raki destilliert wird und die auch nur geringe Investitionen erfordert, ist die Erzeugung von Wein ein technisch anspruchsvoller, langwieriger Prozess, der nicht nur viel Erfahrung und Können voraussetzt, sondern auch größere Investitionen in Lagerräume, Fässer und Maschinen verlangt. Dazu hatte der Weinbau in muslimischen Ländern nicht annähernd die gleiche Bedeutung wie in christlichen Gebieten, die schon allein aus kultischen Zwecken Wein benötigten.
Die in relativ die wenigen Familien über Generationen weitergegebene Erfahrung der Weinherstellung ging im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft fast völlig zugrunde. Geräte und Gebäude wurden eingezogen oder vernachlässigt. Anstelle der Vielfalt von Rebsorten und regionalem Weinausbau trat eine normierte, industrielle Großproduktion von wenigen, möglichst jedes Jahr gleich schmeckenden Gebrauchsweinen. Diese waren zudem meist von schlechter Qualität, weil die albanischen Lebensmittelkombinate andere Schwerpunkte besaßen und nicht in moderne Technologie und unabdingbare Hygiene investierten.
Geringe Wertschätzung im Kommunismus
Ende der 80er Jahre gab es zwei albanische Schaumweine, sieben süße und 20 trockene Weinsorten. Unter den Rotweinen waren Kabernet, Kallmet, Vlosh, Merlot und Shesh i Kuq die bekanntesten Sorten, bei den Weißen Riesling und Shesh i Bardhë. Skënderbeu war nicht nur der Name der bekanntesten Cognacsorte, der Nationalheld musste auch für Rot- und Weißwein seinen Namen hergeben (Jochen Blanken im VSA-Reisebuch). Wer Albanien vor 1990 bereiste, fand ein gewaltiges Qualitätsgefälle vor. War Wein der ersten Qualität (cilësia e parë) nicht verfügbar, war man gut beraten, bei Mineralwasser und Bier zu bleiben. Selbst „gute Weine“ in den besten Hotels waren häufig nachgegoren oder in der Sommerhitze gekippt, somit fast ungenießbar. Manchmal bekam man privat hergestellten Wein; dieser war zwar ziemlich naturrein, kam aber geschmacklich einem guten Rotweinessig sehr nahe.
Trotz der Vielfalt des Weinbaus sind die Angaben zum Thema aus kommunistischer Zeit sehr spärlich. Im Gegensatz zu anderen Agrarprodukten spielte das Thema weder in der Binnen- noch in der Außenpropaganda eine wesentliche Rolle. Auf den allgegenwärtigen Tafeln der Landwirtschaftsbetriebe, auf denen Plansoll, Selbstverpflichtung und Planerfüllung aufgelistet waren, wurde der Weinanbau nur selten erwähnt, und wenn dann nur als „Traube“, nicht als „Wein“. (Allerdings wurden Weine und andere Alkoholika sowie Trauben in der Zeitschrift der Handelskammer, „Albanian Foreign Trade“, regelmäßig beworben.)
Alkoholkonsum war in allen kommunistisch regierten Systemen sehr präsent (man denke an den überbordenden Wodka-Konsum in der Sowjetunion und Polen), stand aber im Widerspruch
zu dem Ziel, den „Neuen Menschen“ zu schaffen. Die Arbeiter-Abstinenzbewegung war im 19. und frühen 20. Jahrhundert umtriebig, weil die Flucht der Ausgebeuteten in den Suff sie von politischem Engagement abhielt.
Umso weniger Grund hatten nach Ansicht der Partei die Menschen, die in einem Arbeiter- und Bauernstaat lebten, ihre Sorgen in der Flasche zu ertränken. Politisch definierte Ziele waren jedoch mit etablierten gesellschaftlichen Traditionen nicht kompatibel. Eine Prohibition wäre in Albanien vollkommen unmöglich gewesen und hätte mit Sicherheit zu Unruhen geführt, genauso wie ein Tabakverbot oder gar der Verzicht auf Kaffeeimporte (und sei es auch nur der schlechte vietnamesische Kaffee, mit dem sich die Albaner meist begnügen mussten) um nichtdurchsetzbar gewesen wäre. Bier, Wein, Raki und andere hochprozentige Getränke blieben ebenso wie Zigaretten grundsätzlich verfügbar, waren aber genauso von Engpässen betroffen wie alle Versorgungsgüter.
Im Export spielten frische Trauben fast keine Rolle; die miserable Infrastruktur verhinderte einen schnellen und gekühlten Transport. Ca. 200 t Tafeltrauben standen im Export 2.200 bis 3.500 t Rosinen gegenüber. Der Export von Wein (hauptsächlich in osteuropäische Länder) war stark rückläufig: 1971 waren es noch 61.000 Hektoliter, 1985 nur noch 22.000. Dafür kamen nur die etwas besseren Sorten infrage. Was für die Bevölkerung des Landes übrig blieb, war wenig und von schlechter Qualität – vermutlich der Hauptgrund für das Schweigen der Propaganda (Quelle: Jandot).
Fotos: Lars Häfner
Langwieriger Neuanfang
Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems kam auch die Weinherstellung nahezu zum Erliegen. Zerstört wurden nicht nur die industriellen Anlagen, viel schlimmer noch waren die großflächigen Zerstörungen der Weinberge. Die Bauern, die sich das Staatsland angeeignet haben, fanden für Wein keine Verwendung und machten aus den Weinbergen Weideland für ihre Schafe und Ziegen. So gab es in den ersten Jahren nach der Wende in ganz Albanien keinen neuen einheimischen Wein mehr zu kaufen, nur noch Lagerbestände aus sozialistischer Zeit. Der Markt wurde von ausländischen Weinen vor allem aus Italien überschwemmt. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert; schätzungsweise 90 % des Weinangebots in albanischen Geschäften und Lokalen kommt aus dem Ausland.
So musste wie alle Wirtschaftszweige auch der Weinbau nahezu bei Null anfangen. Erst nach 1990 konnten ausländische Erfahrungen aufgenommen werden; jetzt konnten Winzer ins Ausland zur Ausbildung gehen. Allerdings beansprucht allein die Anlage eines neuen Weinbergs mehrere Jahre Vorlauf. Sehr langsam sind somit im Laufe der letzten 30 Jahre neue Weinbaubetriebe und Kellereien entstanden; sie besinnen sich mehr und mehr auf ihre regionalen Traditionen.
Inzwischen gibt es viele Weinbaubetriebe, von denen einige, wie u. a. „Çobo“ und „Nurellari“ in Berat, auch internationale Beachtung finden und im Internet sehr präsent sind. Viele Inhaber von Keltereien haben eigene Restaurants eröffnet. Der Neustart nach 1990 hat sich gelohnt: Albanischer Wein hat heute ein gutes Renommee.
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