Straßenszene in Gramsh

Die Infrastruktur verändert sich

Hans-Otto Weinhold kennt Albanien von früheren CHW-Einsätzen. Im Albanienheft 2008 schildert er, wie sich die Infrastruktur weiterentwickelt – oder auch nicht.

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Albanien ist ein Land der Kontraste: Auf den ersten Blick scheint es schon ein modernes Land zu sein, der Aufschwung in der Metropole Tirana ist unübersehbar; in den Bergdörfern erleben aber wenig davon. Zur Zeit der politischen Wende gab es eine dürftige und herabgewirtschaftete Infrastruktur; seitdem hat sich die Situation in vielen Dörfern kaum verbessert, oft sogar verschlechtert. Und auch in den Städten kämpft der Fortschritt mit den alten Hindernissen.

Die Infrastruktur Albaniens befindet sich im Umbruch – jedenfalls in den größeren Ballungszentren wie Tirana, Durres oder Elbasan. Überall wird gebaut und modernisiert. Dazu gehören nicht nur Straßen, sondern auch die Wasser- und Abwasserversorgung, Gebäude und das Telefonnetz. In der Stadt Elbasan haben zum Beispiel die Berliner Wasserwerke die Versorgung übernommen. Den Flughafen Rinas bei Tirana baute ein deutscher Investor aus.

Boomregion Tirana

In Tirana werden Straßen verbreitert und modernisiert, um den vielen Autos Platz zu geben. In der Hauptstadt, in der inklusive des direkten Umlands mitt lerweile rund eine Million Menschen und damit ein Drittel der Einwohner des Landes leben, sind allein ca. 120.000 Autos zugelassen. Es ist abenteuerlich, in Tirana Auto zu fahren, denn an Verkehrsregeln halten sich hier die wenigsten. Kein Vergleich mehr zu der Zeit vor 16 Jahren, als Privat-PKW durch die kommunistische Diktatur verboten waren. Auf den Straßen, die früher meist nur für Militärparaden benutzt wurden, quält sich der ganze Großstadtverkehr in bis zu fünf Spuren pro Richtung. Es gibt zwar Ampeln, aber aufgrund der häufigen Stromausfälle müssen viele Verkehrspolizisten harte Arbeit leisten. Dabei gilt: das größere oder teurere Auto hat Vorfahrt.

Überall klingeln Handys und Internetcafés schießen wie Pilze aus dem Boden. Obwohl das nach viel Fortschritt aussieht: Den meisten Menschen außerhalb dieser Boom-Regionen – nämlich der einfachen Landbevölkerung – helfen diese Investitionen meist nichts. Sie sind immer noch auf den Bus angewiesen, der über katastrophale Straßen holpert. Einige Dörfer kann man nicht einmal mit dem Auto erreichen. Hier sind Esel oder Maultier das Fortbewegungsmittel.

Tirana: Golf mit 1 PS
Tirana: Golf mit 1 PS
Absurde Szene in Kamez
Absurde Szene in Kamez

Tirana Kamez – von der Vorstadt zum Slum

Ein Beispiel für die Infrastrukturprobleme ist die Stadt Kamez, etwa fünf Kilometer nordwestlich von Tirana gelegen. Bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Albanien im Jahr 1990/91 war Kamez ein kleiner Ort mit rund 6.000 Einwohnern. Landwirtschaft prägte den Ort. Eine große Genossenschaft und das höhere Institut für Landwirtschaft in Koder-Kamez – heute die Universität Kamez – waren ansässig. Danach wandelte sich der Ort dramatisch. Zahlreiche Migranten aus ländlichen Gebieten Albaniens ließen sich auf den unbebauten Flächen nieder und errichteten Häuser. Innerhalb eines Jahrzehnts explodierte die Bevölkerungszahl um das Zehnfache auf über 60.000 Einwohner. Diese hofften in Tirana Arbeit zu finden und der Armut entfliehen zu können.

Bathore, zuvor nur ein weites, 400 Hektar großes Feld, wurde zum größten Elendsviertel des Landes. Den Landbesetzern fehlte es oft am nötigsten, sodass viele nur in einfachsten Hütten wohnten. Grundlegende Infrastruktur wie Wasserver- und -entsorgung, Stromversorgung, Schulen, Abfallentsorgung und oft sogar Straßen, fehlten weitgehend. Die lokalen Behörden waren von der Situation überfordert. Mit internationaler Hilfe wurden ab dem Jahr 1997 mehrere Projekte zur Stadtentwicklung in Kamez gestartet, die insbesondere darauf abzielten, die Infrastruktur zu verbessern.

Viele Bewohner aus Kamez verdingen sich als Tagelöhner oder arbeiten in der Bauindustrie. Aber nicht alle Neuzuzügler haben Erfolg in Tirana. Die Armut und die schlechten Lebensumstände machen die wuchernde Vorstadt deshalb zu einem sozialen Brennpunkt. Die neuen Bewohner, die sich fast ausnahmslos illegal niedergelassen haben, stammen mehrheitlich aus den gebirgigen Gegenden Nordalbaniens und brachten auch ihre alten Sitten wie den Kanun mit.

Das Straßennetz lässt noch viele Wünsche offen

Die älteste Straße Albaniens ist die legendäre Via Egnatia. Von den Römern errichtet, verband sie die Adria von Dyrrachium (Durres) bzw. Apollonia unweit von Fier mit Byzanz / Konstantinopel. Die befestigte Route führte über Lushnje ostwärts nach Thessaloniki. Die Verkehrsgeografie Albaniens ist vor allem durch das Relief des Landes bestimmt. Die Straßen folgen im Wesentlichen den Flusstälern, haben aber an verschiedenen Stellen auch hohe Pässe zu überwinden.

Die ersten modernen Straßen wurden 1939 bis 1942 von den italienischen Besatzern gebaut. Dazu gehört zum Beispiel die Strecke Tirana – Elbasan. Unter der kommunistischen Herrschaft ist das Verkehrsnetz kaum weiter entwickelt worden. Die Straßenverhältnisse sind im Allgemeinen noch schlecht, aber mit Mitteln des Balkan-Stabilitätspakts konnten einige wichtige Fernstraßen saniert werden. Dazu gehört die wichtige mittelalbanische Route durch das Shkumbintal, die Elbasan mit Pogradec, Korça und Mazedonien verbindet. Die erste autobahnähnliche Strecke (Tirana – Durrës) wurde im Jahr 2000 fertig gestellt; dabei kostete ein Autobahnkilometer mehr als einer in Deutschland, hält in der Qualität aber deutschen Maßstäben nicht stand. Die gesetzlich vorgegebene Höchstgeschwindigkeit auf dieser Strecke liegt bei 90 km/h. In Richtung Norden wurde die neue Straße im Jahr 2004 errichtet.

Relikt des historischen Straßennetzes
Relikt des historischen Straßennetzes
Verkehr im heutigen Tirana
Verkehr im heutigen Tirana

Der Neubau von Straßen wurde anfangs durch griechische, türkische und mazedonische Firmen bewältigt. Während des Ausbaus gab es keine Ausweichmöglichkeiten. So musste sich der Hauptverkehr durch die Baustellen quälen. Für eine Strecke von 15 Kilometern brauchte man da mal leicht zwei Stunden. Verlässt man die Hauptstraßen, ist der Weg in die Berge steinig wie eh und je.

Im ganzen Land nur ein ziviler Flughafen

Albanien besitzt lediglich einen einzigen Flughafen, der für den zivilen Luftverkehr und von der Luftwaffe benutzt wird. Der „Tirana International Airport Nena Teresa“ liegt etwa 17 Kilometer nordwestlich von Tirana beim Dorf Rinas. Am 21. März 2007 wurde ein neues Cargo- und Passagierterminal eröffnet, das durch die deutsche Gruppe „Hoch Tief Airport“ gebaut wurde. Außerdem ist sie jetzt auch der Betreiber des Flughafens.

Tirana wird von verschiedenen internationalen Fluglinien angeflogen. Der Flughafen wurde ehedem von den Sowjets für wenige Flüge die Woche angelegt und 1958 in Betrieb genommen. Er ersetzte das alte Flugfeld Laprake am (damaligen) Westrand der Stadt Tirana. 1986 nahm die Swissair als erste Fluggesellschaft aus einem kapitalistischen Staat den regelmäßigen Flugverkehr auf. Bis 1992 gab es keine albanische Fluggesellschaft.

Im Jahr 2001 wurde das Terminal mit Unterstützung der kanadischen Regierung renoviert. Im Jahr 2003 wurde der Flughafen, der bis damals den Namen Tirana Rinas Airport trug, anlässlich der Seligsprechung von Mutter Teresa ihr zu Ehren umbenannt.

Strom ist Mangelware

Anfang der 90er-Jahre besuchte ein Team des Christlichen Hilfsvereins das Kohlekraftwerk in Korça. Der Anblick, der sich den Besuchern bot, war „beeindruckend“. Es gab keine richtigen Blockwarte, es gab keine Messinstrumente. Von Automatisierung keine Spur. Das Kraftwerk wurde schlicht nach Gehör gefahren. Durch den heißen Sommer 2007, in dem es wochenlang nicht regnete, trockneten viele Flüsse aus. Da Albanien den meisten Strom selbst aus Wasserkraft erzeugt und die Anlagen hoffnungslos überaltert sind, wurde darum in vielen Orten der Strom einfach abgeschaltet. Hinzu kommt, dass die Strompreise im August 2007 von der Regierung auf umgerechnet acht Cent je Kilowattstunde nahezu verdoppelt wurden. Das ist für albanische Verdienstverhältnisse sehr viel – ein Lehrer verdient etwa 150 Euro im Monat.

Das größte Kraftwerk Albaniens liegt im Norden des Landes. Das Wasserkraftwerk Fierza am Fluss Drin kann eine maximale Leistung von 500 Megawatt erzielen. Damit liefert es rund ein Drittel der albanischen Stromproduktion – vorausgesetzt, es regnet genügend. Ein großes Problem stellen die bis zu 50 Jahre alten Staudämme und Anlagen dar, die durch die Dauernutzung sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden und sicherheitstechnisch teilweise eine große Gefahr darstellen. Im Frühjahr 2007 wurde begonnen, das Kraftwerk mit Hilfe des Programms der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung unter Beteiligung der Schweiz zu sanieren.

Später Start ins Eisenbahn-Zeitalter

Die historische Entwicklung der Eisenbahn reicht bis zum Jahr 1917 zurück, als während des Ersten Weltkriegs ein Schmalspurnetz für militärische Zwecke entstand. 300 Kilometer Schienen in der Spurweite von 600, 750 und 760 Millimetern verbanden Shkodra, Tirana, Durrës, Elbasan, Berat und die Lagune von Narta nördlich von Vlora. Dieses Netz wurde für weitere 10 Jahre, bis 1928, weitergenutzt. Im Zweiten Weltkrieg, als das Land zunächst von italienischen, später von deutschen Truppen besetzt wurde, entstanden erneut Feldbahnen, vor allem zur Abfuhr von Bodenschätzen.

Alle heute existierenden Strecken, die zur „Hekurudha e Shqipërisë“ gehören, wurden nach der Machtübernahme der Kommunisten nach dem zweiten Weltkrieg in vielen „Freiwilligen-Einsätzen“ von der Bevölkerung und Studenten aufgebaut. Ab dem Jahr 1947 wurde die erste Strecke in Betrieb genommen, die zwischen Durres und Peqin errichtet wurde. Sie basierte auf Schmalspurschienenmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg. Weitere Strecken entstanden in den darauffolgenden Jahren. Besonders das Gleis nach Pogradec, das durch landschaftlich sehr sehenswerte Gebiete führt, stellte die Bauingenieure vor große Herausforderungen. Viele Brücken und Tunnel mussten gebaut werden, um das schwierige Gelände zu durchqueren.

Im Jahre 1986 erfolgte der Anschluss an das internationale Eisenbahnnetz. Die Trasse verbindet die Stadt Shkodra mit dem damaligen jugoslawischen Titograd (heute Podgorica, Montenegro). Diese Strecke wird bis heute nur für Güterverkehr genutzt. In den 90er-Jahren zerstörten Vandalen und Alteisen-Diebe Wagen und stahlen viele Schienen. Die HSH musste den Betrieb zeitweise ganz einstellen. Seit dem Jahr 2003 ist die Verbindung wieder in Betrieb.

Gefährdete Zukunft für die Eisenbahn

Die Eisenbahn hat sehr an Bedeutung verloren. Güterverkehr und Personenverkehr hat sich weitgehend auf die Straße verlagert. Viele Nebenstrecken wurden komplett eingestellt. Das noch aktive Streckennetz ist in einem desolaten Zustand. Die Züge sind nur mit Tempo 30 bis 50 unterwegs. Zurzeit sind ausschließlich alte tschechische Dieselloks im Einsatz. Es gibt nur eine Zuggattung und eine Wagenklasse.

Finanziell bleibt das Reisen mit der Bahn günstig, was trotz der Langsamkeit eine gewisse Konkurrenzfähigkeit auch weiterhin garantiert. Für zwei Euro kann man von Tirana nach Pogradec fahren. Dazu müssen die Reisenden sehr früh aufstehen, denn planmäßige Abfahrtszeit ist 5.55 Uhr an der „Stacioni Trenit“. Andererseits ermöglichen die niedrigen Einnahmen kaum Modernisierungsinvestitionen.

Rangierbahnhof
Rangierbahnhof
Werbung für ein Internetcafé
Werbung für ein Internetcafé

Unverzichtbares Handy

Es gibt in vielen Regionen Albaniens kein Telefonnetz mehr. Während der Unruhen der Wendezeit und im Bürgerkrieg 1997 wurden vielerorts einfach die Kupferleitungen demontiert, zu Geld gemacht oder als Wäscheleine benutzt. In den Städten wie Tirana, Durres, Elbasan, Korça oder Pogradec funktionieren die erneuerten Telefonleitungen gut. Das Netz hier wird von der staatlichen „Albtelekom“ betrieben. Darüber sind teilweise schon ADSL-Breitbandanschlüsse möglich. In vielen Internetcafés in den Städten kann man für ca. 90 Lek (etwa 75 Cent) eine Stunde im Internet surfen. Das wird häufig von (meist männlichen) Jugendlichen genutzt.

Seit 1998 existiert ein Mobilfunknetz. Ein zweites Netz ist mitt lerweile hinzugekommen. Die Netzabdeckung ist in den großen Städten sehr gut, jedoch ändert sich das sehr schnell, sobald man in die Bergdörfer fährt. In Bishnica zum Beispiel muss man an ganz bestimmten Stellen stehen, um das Signal zu empfangen. In den dünn besiedelten Bergregionen Nordalbaniens ist die Situation noch sehr viel schwieriger.

Die Preise fürs Telefonieren sind sehr hoch. Wo man sich in Westeuropa schon für fünf Cent pro Minute unterhalten kann, muss man in Albanien sehr viel tiefer in die Tasche greifen. Mit ungefähr 25 bis 30 Cent in der Minute ist dabei zu rechnen. Dadurch fallen die meisten Gespräche eher kurz aus oder man „klingelt sich an“. Wer von Deutschland nach Albanien telefonieren will, kann das schon ab 12 Cent je Minute ins albanische Mobilfunknetz tun. Das verdeutlicht wieder einmal das preisliche Missverhältnis in diesem Land. Für viele Menschen ist das Celulare, wie das Mobiltelefon auf Albanisch heißt, die einzige Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren.

Hans Otto Weinhold; aus: Albanienheft 2008

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