Roma-Camp in der albanischen Hauptstadt Tirana

Griechen, Aromunen, Roma: Albanien und seine Minderheiten

Als nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs 1912 erstmals ein albani­scher Staat entstand, wurden dessen Grenzen eng gefasst. Daher gibt es große albanische Minderheiten im Kosovo und in Nordmazedonien, Albanien selbst ist dagegen vergleichsweise homogen. Doch auch hier gibt es Minderheiten.

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„Ethnische Minderheit“ wird heute definiert als „Teilgruppe einer Bevölkerung, die sich selbst eine kollektive Identität zuschreibt“: Über gemeinsame Normen wie Kultur, Sprache, Religion, Herkunft, Geschichte; evtl. auch räumliche Konzentration und physische Merkmale. Dabei gibt es neben nationalen Minderheiten (mit einem Staatsvolk/Herkunftsland verbunden) auch ethnisch-kulturelle Minderheiten, ohne diesen Hintergrund.

In Albanien sind die Minderheiten benannt und staatlich anerkannt, doch es gibt kaum verlässliche Zahlen. Die unten gezeigten Ergebnisse der letzten Volkszählung vom Okto­ber 2011 liegen deutlich unter bisherigen Schätzungen. Das mag zum Teil an Abwanderung liegen; nicht wenige Befragte haben aber wohl gescheut, sich einer Minderheit zuzurechnen (die Angabe der Nationalität war freiwillig). Übrigens gaben 98,77% Albanisch als Muttersprache an, 0,54% Griechisch.

Anteil der Volksgruppen in Albanien

Nationale bzw. ethnisch-kulturelle Volksgruppen und ihre geographische Verteilung (laut Volkszählung 2011)

Verteilung der Minderheiten in Albanien

Keine Vertreibungen oder Pogrome

In der Geschichte Albaniens gab es keine ethnischen oder rassistischen Verfolgungen. Es gab sozial motivierte Emigrationswellen. Die politischen Verfolgungen zur Zeit des Sozialismus betrafen die gesamte Bevölkerung, sie waren nicht speziell gegen ethnische Minderheiten gerichtet.

Damit ist Albanien ein Sonderfall in der Balkanregion. Im Allgemeinen lebten die Ethnien und Religionen hier friedlich zusammen (möglicherweise ein Erbe des osmanischen Reichs). In der Praxis bedeutet das aber nicht unbedingt Freundschaft, eher Segregation: Man lebt nebeneinander her, lässt die Familien der Nachbarschaft in Ruhe, vermischt sich aber auch nicht.

Programme für Roma

Während die meisten Minderheiten gut integriert oder sogar assimiliert sind, bergen die Lebensbedingungen der Roma sozialen Sprengstoff: schlechte Wohnbedingungen (38% leben in beschädigten Gebäuden, 21% in Baracken), hohe Arbeitslosigkeit, eingeschränkter Zugang zum Gesundheitssystem (weil sie sich die Bestechungsgelder nicht leisten können), hohe Säuglingssterblichkeit. Im staatlichen Sektor (nur dort werden die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung verlässlich gezahlt) finden Roma kaum Beschäftigung. Dafür löst der Staat immer wieder illegale Barackensiedlungen auf und vertreibt die Bewohner.

Zur Verbesserung dieser Situation gibt es zahlreiche Programme, z.B. von EU und UNDP, von privaten und kirchlichen Organisationen. Aus dem Umfeld von CHW/DA seien die Amaro Tan-Schule in Pogradec genannt sowie die Sozialprogramme der KUIK, der Gemeinde von Pastor Akil Pano in Tirana. Es gibt Bildungsprogramme für Kinder und Erwachsene, Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Die Effizienz dieser Programme lässt sich von außen nicht durchschauen. Bei Hilfsprogrammen sind die Sprachbarriere zu beachten, Familienstrukturen und die eigene Kultur, aber auch der Freiheitswille, der die Roma seit Jahrhunderten prägt.

Fotos: Jochen Blanken

Minderheiten in Albanien

Griechen

In Südalbanien lebt eine griechische Minderheit, insbesondere im früheren Epirus. Diese Region war bis ins Mittelalter zeitweilig ein selbständiger Staat und besaß auch im Osma­nischen Reich Teilautonomie. 1912 und 1923 wurde Epirus geteilt, Nord-Epirus kam zu Albanien. Griechenland ­erhob lange Zeit Ansprüche auf das Gebiet und betrachtet sich auch heute noch als Interessenvertreter der Griechen in Albanien. Die Griechen sind eine anerkannte Minderheit: Griechisch wird als Muttersprache, in den Schulen und in eigenen Medien gepflegt; es gibt eine autoch­tone albanisch-orthodoxe Kirche und zwei politische Parteien, die die Interessen der griechischen Minderheit vertreten. Ihre Zugehörigen konnten seit 1991 problemlos die griechische Staatsangehörigkeit erwerben – sie wurden dadurch zu EU-Bürgern und wanderten häufig aus (400.000 – 800.000). Heute umfasst die Minderheit schätzungsweise 60.000 Menschen (Griechenland spricht von 300.000).

Mazedonier, Montenegriner

Neben den Griechen gibt es slawische Minderheiten: An der Grenze zu Nordmazedonien leben ca. 5.000 Mazedonier (auch Bulgaren genannt), in Nordalbanien ca. 500 Montenegriner (bzw. Serben). Das ist wenig im Vergleich zur anderen Seite der Grenze: In Montenegro sind 5 % der Bevölkerung Albaner, in Nordmazedonien über 25 % (im Kosovo sogar 93 %). Die Situation ist im allgemeinen entspannt. Die albanische Kommune Pustec am Prestasee gilt als Minderheitengebiet und ist offiziell zweisprachig. Zwischen Albanien und Montenegro gibt es freundschaftliche Beziehungen und einen kleinen Grenzverkehr.

Aromunen (Wlachen)

Die Aromunen sind eine Volksgruppe im Süden Albaniens (v. a. Korça, Fieri, Gjirokastra). Sie stammen von Wanderhirten aus dem heutigen Rumänien ab, sprechen eine thrako-romanische Sprache (nachgewiesen ab dem 18. Jh, droht heute unterzugehen) und sind meist orthodoxe Christen. Als Händler und Handwerker waren sie im Osmanischen Reich erfolgreich, gründeten sogar eigene Städte (Voskopoja/Moscopole). In Albanien wurden sie erst 1991 als ethnisch-kulturelle Minderheit anerkannt. Schätzungen sprechen von 30.000 – 50.000 Aromunen; es gibt eine Aromunische Partei und Medien in aromunischer Sprache.

Roma, Ägypter

Roma-Gruppen gibt es überall im Balkan (Sprache: Romanes). In Albanien sind sie als ethnisch-kulturelle Minderheit anerkannt und werden nicht offiziell diskriminiert, stehen aber am Rand der Gesellschaft. 78% leben unter der Armutsgrenze. Die Kinder sieht man häufig betteln; Erwachsene verdingen sich bei der Straßenreinigung, betreiben Altkleidermärkte oder verdienen etwas Geld mit Volks-/Tanzmusik bzw. als Kunsthandwerker. Zu den Roma zählen auch die Balkan-Ägypter. Sie führen ihre Herkunft auf ägyptische Einwanderer zurück und sehen sich selbst nicht als Roma. Besonders im Kosovo versuchen sie dadurch der Diskriminierung von Sinti und Roma zu entgehen. Sie sprechen Albanisch, sind meist besser gebildet und gut integriert (Analphabetismus: Roma 40%, Ägypter 13%).

Juden

Bereits in der Antike ließen sich Juden im Gebiet des heutigen Albanien nieder. Auch im Osmanischen Reich sind sie nachgewiesen und genossen staatlichen Schutz. Im 2. Weltkrieg erhielten 800 jüdische Flüchtlinge ein albanisches Visum; sie wurden vom Staat und von der Bevölkerung vor Verfolgung geschützt (Gastfreundschaft). Ab 1991 wanderten die meisten Juden nach Israel aus. Heute zählt die jüdische Gemeinde max. 100 Personen.

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