Unser erster Kontakt mit dem Thema Hilfsprojekt in Albanien war vor zwei Jahren auf dem Evangelischen Kirchentag. Jetzt passte ein solcher Einsatz in unsere individuelle Lebensplanung – nachdem die Kinder groß sind, öffnet sich der Geist wieder für andere Dinge des Lebens. Uns beschäftigen Fragen wie: Was ist wirklich wichtig auf dieser Erde? Was ist ein würdiges Leben? Wie kann ich mich daran beteiligen? Was hinterlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern?
Nun hat uns die neue Lebensphase auch eine besondere, gemeinsame Aktion mit einem erwachsenen Kind beschert. Wir, das sind: Uwe (63), Maschinenbauingenieur und Schlosser, Karin (60), Ärztin und Logopädin und Britta (24), Pflegefachfrau in der Kardiologie. Wir erleben beruflich, dass viele Menschen aus Albanien zu uns kommen, um die fehlenden Fachkräfte zu ersetzen. Und wie sieht es dort aus? Was veranlasst Menschen, ihr Glück in der Ferne zu suchen und im Heimatland eine Lücke zu hinterlassen? Was können wir daran verändern? Auf unserer Reise haben wir ein Projekt kennen gelernt, dass schon seit 25 Jahren Bestand hat. Vieles hat sich bewährt, einiges auch mit der Notwendigkeit, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen.
Herzlicher Empfang
Unsere Reisegruppe von zwölf Personen mit drei weiteren Freiwilligen, mit Angestellten und Ehrenamtlichen von CHW und Diakonia Albania machte sich auf den Weg nach Pogradec und dann weiter nach Bishnica. Es war ein bisschen so, als ob das Zeitrad um 100 Jahre zurückgedreht würde: Für uns eine Idylle; für die Menschen, die dort leben, eine harte Arbeit – teilweise an der Grenze des Existenzminimums.
Wir haben überaus freundliche, offene Menschen erlebt, die uns sehr willkommen geheißen haben. Die bereit waren, ihre Arbeit, ihre Materialien und Möglichkeiten darzustellen und uns gezeigt haben, wo die Möglichkeiten und auch die Schwierigkeiten sind. Wir haben erlebt, dass Herzlichkeit oft keine Wörter braucht, sondern ein waches Gehirn und Gesten, Gebärden, Zeigen, in vielen Sprachen und manchmal auch einfach eine Umarmung. Wir sind hervorragend verpflegt worden, von den Frauen der Diakonia und des Kinderheims, aus den Feldern und den Läden in und um Bishnica, mit selbstgebackenem Brot, mit Reis gefüllten Paprika, mit Fërgesë-Auflauf, Bohnensuppe, Byrek und Spiegeleiern und haben selbst an dem eigenkonstruierten Spieß gedreht, als das Lamm gebraten wurde.
Die Unterhaltung ging gut. Wir haben von unseren Familien erzählt, von Jahreszahlen, von Lieblingsessen, haben rudimentär Google-Übersetzer gebraucht, aber ganz viel per WhatsApp mit den im Ausland lebenden oder Englisch-sprechenden Kindern als Übersetzer kommuniziert. Sehr lebendig!
Was war anders?
Wir mussten uns daran gewöhnen, dass Absprachen im Nu wieder umgeworfen werden, dass Planungen innerhalb kürzester Zeit anders sein konnten, dass nicht das Einsparen von Manpower/Frauenpower eine relevante Größe war, sondern, dass dies (im Gegensatz zu unserem sehr betriebswirtschaftlich ausgerichteten Denken) als Planungsgröße immer im Überfluss vorhanden zu sein schien, allerdings nicht in der Praxis. Die Zuständigkeiten waren uns immer wieder nicht ganz klar.
Wir mussten uns daran gewöhnen, dass die sehr engagierten und netten Festangestellten zwei bis drei Autostunden entfernt von Bishnica wohnen und nur einmal pro Monat präsent sind. Für uns nicht so leicht denkbar, wie da eine Kontinuität bewahrt werden kann – aber es scheint die Realität in einer Landschaft zu sein, aus der die jungen Menschen fortziehen.
Wir haben uns beteiligt am Erdaushub, am Herankarren und Verlegen von Wackersteinen und Sand aus den nahegelegenen Bergen, von Mischen von Beton in unterschiedlichen Qualitäten, am Sockel für Container, an der Reparatur von dauerleckenden Wasserleitungen und -hähnen, Überlegungen zur Trockenlegung des geplanten Baugrundstücks mit Kappen einer Wasserleitung, Sichtung des Lagers, Sortieren und Kennenlernen der medizinischen Infrastruktur, und noch vieles mehr. Weiterhin gibt es noch viel zu tun. Und mal eben ein Ersatzteil im Baumarkt zu besorgen kostet drei Stunden Wegezeit.
Gewundert hat uns die überdimensionale Lagerhaltung, über die auch die vor Ort Lebenden/Arbeitenden keinen Überblick hatten und wohl auch nur einer einen Schlüssel hat. So haben wir einen Tag lang mit Bashkim Inkontinenzmaterial und Medizinbedarf sortiert und gesehen, dass vieles in der Versorgung vor Ort hilfreich ist, manches eher für ein Akutkrankenhaus oder eine operative Einrichtung taugt, z.B. die Palliativstation in Pogradec. Bashkim hat ein sehr gutes medizinisches Wissen und begegnet den Menschen bei seinen Besuchen mit großem Herz. Aus unserer Sicht eine gute und tragfähige Kombination mit einem Schlüssel zum Wesen der Leute. Der Schlüssel zum Lager wäre ebenfalls hilfreich.












Fotos: Dietmar Schöer, Valter Kryemadhi
Was hat uns schockiert?
Die Not der Leute, vor allem in der medizinischen Versorgung. Viel Fachpersonal ist abgewandert. Aber auch für die einfachsten Diagnostiken und Medikamente sind keine Ärzte erreichbar und können von den Personen nicht finanziert werden. Wir haben erfahren, dass eine Frau ihre Schilddrüsenmedikation (bei uns 15 Cent pro Tag) oder eine Familie mit einem Jugendlichen mit Epilepsie mit 30 Anfällen am Tag die Medikationskosten von 1 bis 2 € pro Tag nicht bezahlen können. Wir wissen, was das bedeutet.
Das Kinderheim hat uns sehr beeindruckt. Fast alle Kinder haben eine besondere Herausforderung, aus belasteten Familien mit eigenen körperlichen, sozialen oder psychischen Erkrankungen. Die Betreuung der Hauswirtschafterinnen Dushi, Vera und Rosalie und der Lehrerin Xhuana, die während unseres Aufenthalts eine wichtige Prüfung in Tirana bestanden hat, war prima. Uns war die Suche der Kinder nach Nähe erst einmal ungewohnt; in der hiesigen Sonderpädagogik tut man sich damit schwer. Wir haben erst mit der Zeit verstanden, dass Unterbrechungen im Alltag dort viel seltener sind als bei uns; Neues und neue Personen sind willkommen, bringen Abwechslung. Die Bereitschaft zum Lernen ist gut vorhanden. Ein Junge wünschte sich von uns ein Englischbuch, damit er lernen kann und uns besser verstehen kann.
Wir haben von den Menschen vieles von ihrer eigenen albanischen Geschichte erfahren, ihrer Sichtweise und ihrem Leben in einer abgeschotteten Diktatur. Taso, der Maler aus Pogradec, hat uns ausführlich eigentlich über Kunst, aber auch über sein Leben erzählt. Wie es war, keinen Kontakt in andere Länder zu haben, wie mühselig es war, andere Einflüsse kennen zu lernen in einem Regime, das alles kontrollierte. Er hat sich z.B. das Wissen über die Impressionisten von Briefmarken angeeignet, diese waren im Gegensatz zu den Briefen nicht zensiert. Und hat berichtet wie schwierig es war, sich nach 40 Jahren in einem totalitären System in Richtung freier Meinung zu entwickeln. Sehr bewunderswert – und so wichtig, diese Erfahrungen auch auf die jetzigen Weltveränderungen im Kleinen und im Großen anzuwenden.
Wohin geht das Projekt?
Angefangen hat die Hilfe für Bishnica 1992, damals wurden 1.000 Familien versorgt. Jetzt sind wohl noch 40 da, meist ältere Leute über 55 Jahren, und der gesamte familiäre Background fehlt. Der Wechsel von der Versorgung der Vielen zur Versorgung von besonderen Gruppen, in Verbindung mit Bildung und dem Aufbau einer Infrastruktur, ist aus unserer Sicht geboten.
Dosierte, behütete, gut vorbereitete Umgebung ist laut der Erzieherin Maria Montessori ein wesentlicher Baustein, um eine Kinderseele zu fördern bzw. die Lust am Lernen mit Eigenexploration zu verbessern. Solch eine Umgebung, geschützt vor zu viel undosierten Fremdeinflüssen, ist in Bishnica gegeben. Menschen, die das Fachwissen und eine pädagogisch-menschliche Vision von Zusammenleben haben und weitergeben, sind ebenfalls da. Selbst wenn die Schule an einen Ort weiter unten im Tal umziehen würde, wäre ein Kinderheim dort oben wahrscheinlich noch tragfähig. In Tirana haben wir jedenfalls einige Straßenkinder erlebt, für die der Staat kein Konzept zu haben scheint.
Wir hoffen, dass Bishnica durch die neue Straße und die dadurch entstandene Erreichbarkeit auch wieder für eine jüngere Generation attraktiver wird. Ein Ho(s)tel und zwei Miniläden gibt es bereits. Bishnica ist ein wunderschöner, idyllischer Ort. Die Natur mit Vogelstimmen, Tieren, Menschen und ganz viel naturbelassener Flora würde jeden Outdoor-Touristen begeistern. Der Wanderweg zu den beiden Naturseen, die 6 km oberhalb des Orts liegen, bietet eine erste Hilfestellung, um auch Fremde für diesen lebenswerten Ort zu interessieren.
Hoffnung für die Zukunft
Vielleicht gelingt mit Hilfe von CHW und Diakonia Albania, den Menschen, die dort verblieben sind, ein wenig die individuelle Not zu lindern, den Kindern ebenso wie den alten Menschen. Unsere Präsenz sowie der Ausbau von Infrastruktur könnte dazu beitragen, die Region für Menschen, die jetzt ausgewandert sind, wieder so attraktiv zu machen, dass sich für sie die Mühsal des Wieder-Anfangens lohnt. Albanien braucht die nächste Generation für den Aufbau eines nicht korrupten Systems, die Aussicht auf verlässliche Politik mit tragfähigen Werten und Interesse am Wohlergehen der bisher benachteiligten Menschen.
Wir danken allen vom Team des CHW und Diakonia Albania, stellvertretend Dietmar Schöer, für den Einblick und die Anleitung, für die Offenheit, sich den Fragen zu stellen und die Bereitschaft, uns Neulinge immer wieder mit ins Boot zu holen und nicht nur für die dort lebenden Menschen, sondern auch für uns – manchmal Individualisten – diese Woche zu einem sinntragenden, ergebnisorientierten, freudigen Erleben werden zu lassen, über das wir auch jetzt hier zurück in Deutschland weiter erzählen werden. Wir freuen uns auf den nächsten Einsatz.
Karin, Britta, Uwe