Für eine albanisch-deutsche Journalistenakademie, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert wurde, reiste ich im Oktober 2018 nach Albanien. Eine Woche würden wir in deutsch-albanischen Tandems Geschichten recherchieren, filmen, schreiben und daraus ein Online-Magazin erstellen. „Wir“, das waren sieben Journalisten aus Deutschland und sieben Journalistinnen bzw. Studentinnen aus Albanien – und natürlich das Leitungsteam, das alles organisierte. Hauptthema der Akademie: die jungen Menschen in Albanien.
70 Prozent der jungen Albaner wollen ihr Land verlassen
Bei der Recherche dazu ging mir eine Zahl nicht mehr aus dem Kopf: 70 Prozent der jungen Albaner und Albanerinnen wollen das Land verlassen. Keine Perspektive, keine Jobchancen – keine Hoffnung? Schnell fiel vor Ort die Entscheidung: Wir wollen uns mit den jungen Menschen beschäftigen, die bleiben. Warum tun sie das? Haben sie noch Hoffnung auf ein gutes Leben in Albanien? So entstand der Titel unseres Magazins: „30 Prozent Hoffnung“.
Zusammen mit meiner Kollegin Ina Kila machte ich mich an die Recherche und fand das Internat in den Bergen von Bishnica. Einen Tag lang durften wir die Sozialarbeiterin Valbona Balla und Saimir Rakipllari, die für die „Diakonia Albania“ arbeiten, begleiten. Wir fuhren zusammen ins Berginternat und trafen die Kinder, die dort untergebracht waren. Das Internat ist für sie die einzige Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, weil sie in weit entfernten Bergdörfern wohnen.
Schnell wurde ein Grund klar, warum so viele junge Menschen das Land verlassen: In den Bergen und ländlichen Gebieten gibt es für sie keine Chance, eine gute Arbeit zu finden. Die Schulen schließen in vielen Dörfern, die Wege sind beschwerlich. Für die 60 Kilometer nach Bishnica brauchten wir im Geländewagen zwei Stunden – und das bei bestem Wetter. Im Winter sind die Berge quasi abgeschnitten. Ein Teufelskreis: Immer mehr Menschen ziehen weg, so kann sich keine Wirtschaft entwickeln. Dabei war das einmal anders: „Hier war früher das Hotel, hier war ein Restaurant, hier war ein Kino,“ erzählt Saimir Rakipllari während der Fahrt durch das Dorf Bishnica. Heute sind hier nur noch Ruinen.
Und wo bleibt jetzt die Hoffnung?
Wer bleibt, um das Land nach vorne zu bringen?
Menschen wie Saimir Rakipllari und Valbona Balla bleiben im Land, um den Kindern eine Perspektive zu bieten. Das Internat ermöglicht es ihnen, zur Schule zu gehen.
Zwei andere Kolleginnen trafen die 27-jährige Aktivistin Xheni Karaj. In Albanien ist sie bekannt, weil sie eine der wenigen Frauen ist, die sich offen als lesbisch outen und weil sie sich für die Rechte von homosexuellen Menschen einsetzt. Bis 1995 wurde gleichgeschlechtlicher Sex in Albanien mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft. Mich beeindruckt der Auftritt von Xheni Karaj in einer albanischen Talkshow: Mutig stellt sie sich Hass und Vorurteilen entgegen. Es ist offensichtlich, wie viel Kraft sie das kostet.
Wer in Albanien nicht in traditionelle Rollenmuster passt, der muss kämpfen. Auch Korruption und Vetternwirtschaft bleiben große Probleme. Für junge Menschen heißt das: Egal, wie sehr ich mich anstrenge – ich kann nicht sicher sein, mit guter Leistung etwas zu erreichen. Das kann extrem frustrierend sein.
In Albanien zu bleiben, ist also keine leichte Alternative für junge Menschen. Mut, Idealismus, Durchhaltevermögen, Veränderungswillen – all das braucht es. Die jungen Menschen, die diese Eigenschaften mitbringen und sich entscheiden zu bleiben, sind Albaniens Chance auf eine bessere Zukunft.