Die pittoreske Lage am Ufer des hoch gelegenen Ohrid-Sees mit dem grandiosen Blick auf die häufig schneebedeckte Bergkette Galiçica in Nordmazedonien führte dazu, dass Pogradec die nahezu einzige Touristenstadt Albaniens fernab vom Meer war. Zwar hatte man versucht, mit dem Bau des Eisen-Nickel-Bergwerks vor den Toren der Stadt ein zweites industrielles Standbein zu verschaffen; nachdem dies aber stillgelegt worden ist, konzentriert sich das Städtchen erneut mit ganzer Kraft auf den In- und Auslandstourismus.
Verkehrsmäßig ist die Pogradec an die Fernstraße SH3 (Tirana–Korça–Thessaloniki), die Europastraße E 852, angebunden. Doch der Ort lässt sich ebenso von Nordmazedonien, dem Grenzübergang Qafë Thanë–Tuzi, bzw. von Nordmazedonien/Griechenland, dem Grenzübergang Tushemisht–Sveti Naum, aus erreichen. Die Eisenbahnlinie Durrës–Elbasan–Pogradec hat den Betrieb inzwischen leider eingestellt. Auslandstouristen können über die Flughäfen Tirana (138 km Entfernung), Ohrid (48 km Entfernung) oder Skopje (241 km Entfernung) anreisen.
Die Schönheit der Landschaft, die teils noch unberührte Natur und zahlreiche Baudenkmäler aus drei Jahrtausenden machen das Gebiet von Pogradec zu einem herausragenden Reiseziel. Wer von Tirana aus anreist und nach dem Pass „Qafë Thanë“ zum Ohrid-See hinunterfährt, ist beim Anblick des tiefblauen Wassers umgeben von hohen Bergen immer wieder überwältigt.
Fotos: Jochen Blanken, Aurora Zeqo, Matthias Pommranz
Beitragsbild: Blick auf Pogradec aus Richtung der Mokra-Berge, im Hintergrund das Galičica-Gebirge in Nord-Mazedonien Foto: James Leithart, Nehemia Gateway
Der Ohridsee auf 700 m Höhe über dem Meeresspiegel ist mit einem Alter von ca. 1,5 Million Jahren der älteste noch existierende See Europas. Entstanden durch einen Grabenbruch ist er sehr tief, bis zu 300 m, und beherbergt ca. 300 endemische Tier- und Pflanzenarten, die nur dort vorkommen. Von den zehn endemischen Fischarten ist die wohlschmeckende Ohrid-Forelle, albanisch „Koran“, die bekannteste; Biologen interessieren sich dagegen mehr für die zahlreichen einzigartigen Schnecken, Würmer oder das Plankton des Sees. Gespeist wird der Ohrid-See von dem 200 m höher gelegenen Prespa-See im Dreiländereck Albanien–Griechenland–Nordmazedonien. Die mächtig strömenden Karstquellen im Osten von Pogradec, in Tushemisht und beim Kloster Sveti Naum in Nordmazedonien sind weitere Naturschauspiele.
Sehr frühe Siedlungsgeschichte
Das Gebiet rund um den Ohrid-See ist seit ältester Zeit von Menschen bewohnt. Sehr frühe Siedlungsspuren aus der Jungsteinzeit wurden durch Pfahlbauten im See in der Nähe des Dorfes Lin nachgewiesen. Neueste Untersuchungen datieren die Hölzer ungefähr in die Zeit von 5.200 v. Chr. Damit liegt dort eine der Wiegen der europäischen Zivilisation.
Mit Beginn der schriftlichen Überlieferungen war das Gebiet des heutigen Albanien von den Illyrern besiedelt, die Gegend von Pogradec bewohnten die illyrischen Stämme der Dassareten und Encheläer. Diese errichteten ab dem 5. Jh. v. Chr. erste Höhensiedlungen, etwa Selca e Poshtmë, möglicherweise das antike Pelion, und die Burg von Pogradec, das antike Encheleana. Es entstanden illyrische Königreiche. Mit der Eroberung Illyriens durch die Römer im Jahre 58 v. Chr. und dem Bau der Via Egnatia, der römischen Handels- und Militärstraße von Brindisi über Durrës und Thessaloniki nach Byzanz, erlebte das Gebiet eine neue Blütezeit.
Nachdem schon Paulus Illyrien missioniert und wahrscheinlich die Via Egnatia bereist hatte, setzte sich das Christentum sehr schnell durch. Erste frühchristliche Kirchen entstanden, z. B. auf der Halbinsel Lin. Seit der Teilung des römischen Reiches im Jahre 395 n. Chr. gehörte das Gebiet von Pogradec zu Ostrom. Aus dieser Zeit gibt es rund um den Ohrid-See eine ganze Reihe bedeutender byzantinischer Kirchenbauten. Von dem direkt an der albanisch-nordmazedonischen Grenze am Ohrid-See gelegenen Kloster Shën (Sveti) Naum aus haben die beiden „Slawenapostel“, die Mönche Kyrill und Method, die seit dem 4. Jahrhundert aus dem Norden eindringenden Slawen christianisiert und dadurch ab dem 9. Jh. für die orthodoxe Kirche gewonnen.
Foto: Frieder Weinhold
Osmanische Herrschaft und albanische Unabhängigkeit
Im Mittelalter bildeten slawisch-albanische Mischdynastien wechselnde Feudalherrschaften aus. Als die Osmanen Ende des 14. Jh. unter Umgehung von Konstantinopel immer weiter auf den Balkan vordrangen, fielen oder begaben sich einige dieser Kleinfürstentümer unter die Herrschaft der Hohen Pforte. Der Fürst Gjergji Kastrioti aus Kruja, genannt Skanderbeg, der albanische Nationalheld, versuchte mit der Gründung der Liga von Lezha 1444 diese Entwicklung aufzuhalten und verzeichnete bis zu seinem Tod 1468 große Erfolge im Kampf gegen die Türken. Das hat die weitere Entwicklung zwar verzögert, aber nicht aufgehalten. Spätestens ab 1500 begann eine etwa 400-jährige Zugehörigkeit Albaniens zum osmanischen Imperium.
Auch das Gebiet von Pogradec wurde durch diese lange Periode kulturell stark geprägt. Neben materiellen Hinterlassenschaften in Form von Moscheen, eleganten Bogenbrücken (etwa
der Brücke von Golik), osmanischen Wohnhäusern (z. B. in den beiden älteren Stadtvierteln von Pogradec) u.a. sind die osmanisch-islamischen Einflüsse in der immateriellen Kultur, in Musik, Wohnformen, familiären Bräuchen, Kulinarik usw. unübersehbar. Allerdings wurden auch albanischen Sitten beibehalten. Der albanischen Sprache kam dabei eine besondere Bedeutung zu. Kurz nachdem deshalb in Korça die erste albanischsprachige Schule gegründet worden war, entstand 1887 in Pogradec eine zweite.
Im Rahmen der Balkankriege kam es auch im Gebiet von Pogradec zu antitürkischen Aufständen. Die Freischaren von Gora, Mokra und Opari schlossen sich dem im November 1912 neugegründeten albanischen Staat an; das wurde von der Konferenz der Großmächte 1913 bestätigt. Im 1. Welt-
krieg marschierten französische Truppen und ihre Verbündeten in Thessaloniki ein und stießen bis Pogradec vor. Die Stadt lag unmittelbar an der „Salonikifront“, der starren Frontlinie zwischen den bulgarisch-türkisch-österreichisch-deutschen Mittelmächten und der französisch-englischen Entente, die sich halbkreisförmig vom strymonischen Golf in der Ägäis bis zum Ohrid-See erstreckte.
1920, als nach der Neugründung des albanischen Staates die ausländischen Besatzungstruppen abgezogen waren, gehörten Pogradec und Umgebung weiterhin zum Staat Albanien. Seit der Festlegung der Staatsgrenzen 1913 lag auch das für gläubige Slawen heilige Kloster Shën Naum in Albanien. Doch nachdem der spätere albanische König Ahmet Zogu 1924 geputscht und mit finanzieller und militärischer Hilfe aus Jugoslawien die fortschrittliche Regierung des Bischofs Fan Noli gestürzt hatte, erwies er – selbst ein Moslem – seine Dankbarkeit für die Unterstützung und trat das Kloster Shën Naum 1925 an den Staat Jugoslawien ab.
Pogradec zur Zeit des Sozialismus
Nach der Besetzung und Annexion Albaniens durch die italienischen Faschisten entzündete sich der antifaschistische Widerstand der Albaner. In der Nähe von Pogradec bildete sich im März 1942 die „Çeta e Mokrës“ (Partisanenfreischar von Mokra). Es war die erste Partisanenformation im Bezirk Korça und die zweite landesweit. Im Laufe des Jahres entstanden weitere Partisanenfreischaren, die Çeta e Gorës und die Çeta e Oparit. Dem Kommandanten der Partisanen, Reshit Çollaku, hat die Stadt im Park am Ohrid-See ein Denkmal gesetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt dreimal niedergebrannt.
Nach dem Bruch Albaniens mit Jugoslawien 1948 wurde die Staatsgrenze zum Nachbarland hermetisch abgeriegelt, in den Grenzgebieten galt ein Betretungsverbot. Für einen Besuch des Parks von Drilon, wenige Meter vor der jugoslawischen Grenze, benötigten ausländische Reisegruppen eine Sondergenehmigung. Der Ohrid-See, durch dessen südlichen Teil die Grenze verläuft, wurde nachts mit starken Scheinwerfern abgesucht, denn immer wieder versuchten Albaner, über den See das Land zu verlassen. Bei diesen Fluchtversuchen kam es zu Verhaftungen und langen Haftstrafen, und einige Flüchtende wurden beim Grenzübertritt erschossen.
Zur Zeit des Sozialismus spielte Pogradec eine wichtige Rolle für den einheimischen Tourismus, der durch den Bau von Hotels, eines großen Arbeitererholungsheims, kulturellen Angeboten und anderem mehr gefördert wurde. Im Albtouristhotel „Guri i Kuq“ (heute Hotel Enkelana) kamen auch ausländische Reisegruppen unter. Für die Partei- und Staatsführung wurde am Ufer des Ohrid-Sees ein eigener, für die Öffentlichkeit gesperrter Erholungsbereich (Bllok) angelegt, und im Park von Drilon bekam der Staatsführer Enver Hoxha eine eigene Villa.
Zum wichtigsten Wirtschaftszweig in Pogradec wurde allerdings der Bergbau, nachdem 1980 das Eisen-Nickel-Bergwerk „Guri i Kuq“ (Roter Stein) in Betrieb genommen worden war. Die geförderten Mineralien waren für die Verhüttung im Stahlwerk von Elbasan bestimmt. Zu diesem Zweck wurde die Eisenbahnstrecke von Elbasan nach Pogradec (genauer: bis zum Bergwerk, etwa 3 km vor dem Ortseingang) erbaut. Die 189 km lange Strecke führte über mehrere hohe Brücken durch das Shkumbin-Tal und war zweifellos die schönste Eisenbahnlinie Albaniens. Fertiggestellt im Jahre 1979, wurde der Betrieb der Strecke allerdings kürzlich wegen fehlender Investitionen und Wartungsarbeiten beendet.
Fotos: Jochen Blanken, Matthias Pommranz, Axel Ermke
Stadtentwicklung der letzten Jahre
Die gesamte staatliche Industrie – neben dem Bergwerk auch Lebensmittelverarbeitung, Holz- und Textilindustrie – wurde nach 1990 eingestellt. In den Jahren nach der Wende wurde ein rücksichtsloser Raubbau an Naturschätzen betrieben: Der Koran, die seltene Lachsforelle des Sees, wurde rücksichtslos befischt und große Waldflächen wurden illegal abgeholzt.
In den Folgejahren konzentrierte sich die Stadt Pogradec auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs. Dafür wurden größere Anstrengungen unternommen und Investitionen getätigt. Das Ziel sieht Bürgermeister Ilir Xhakolli darin, Pogradec zu einer Touristendestination rund um das Jahr auszubauen. Dem sollen verschiedene über das ganze Jahr verteilte Kultur- und Sportereignisse dienen, wie etwa das „Balkanfestival des Marionettentheaters“ oder größere Sportwettbewerbe. Der Erholungsbereich am Ufer des Ohrid-Sees wurde zu einer begrünten Park- und Erholungszone ausgeweitet. Neben dem zentralen Hotel Enkelana entstand der „Rosenpark“ mit einer kleinen Open-Air-Bühne und Denkmälern für die Dichter Lasgush Poradeci und Mitrush Kuteli.
Zum Schutz des Sees und für die Verbesserung der Wasserqualität wurde das Abwassersystem der Stadt erneuert und eine Kläranlage errichtet. Über diese Projekte der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) soll auch die Sammlung und Klärung des Abwassers der umliegenden Dörfer geregelt und deren Versorgung mit Trinkwasser sichergestellt werden.
Alle in den zurückliegenden Jahren am Ufer des Ohrid-Sees schwarz erbauten Restaurants wurden inzwischen wieder entfernt. Auf einem Uferstreifen von 50 m Breite ist jetzt jegliche Bebauung untersagt. Vom Dörfchen Lin an der nördlichen Grenze zu Nordmazedonien bis zum Dörfchen Tushemisht an der südöstlichen Grenze soll ein durchgehender 35 km langer Wander- und Radweg entstehen; damit wird der Rundweg um den gesamten See geschlossen werden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau stellt für dieses Projekt, das 2023 abgeschlossen sein soll, 10 Mio. € zur Verfügung.
Auch die Straßenverhältnisse des Kreises Pogradec wurden und werden weiter verbessert. Im Ort ist ein neues Terminal für den Reisebusverkehr geplant. Innerstädtischer Personennahverkehr ist nicht vorgesehen, stattdessen sollen aber zunehmend Radfahrwege entstehen. Inzwischen wurden auch die Straßen in entlegene Bergdörfer ausgebaut und asphaltiert. Nachdem die naturbedingt schmale Uferstraße für den Verkehr ausgebaut wurde, ist momentan eine neue Verbindungstrecke in Bau. Diese Schnellstraße beginnt in Qukës im Shkumbin-Tal und wird über den Pass von Ploça südlich von Pogradec wieder in die Straße nach Korça münden. Dadurch soll sich die Fahrtzeit des Ost-West-Korridors 8 von Durrës nach Thessaloniki in Griechenland um eine Stunde verkürzen. Diese Straße würde einerseits die bisher recht unzugängliche Mokra-Bergregion erschließen und andererseits den Fernverkehr, der sich heute immer noch durch Pogradec schiebt, ableiten.
Fotos: Ralf Böhme
Pläne der Stadtverwaltung
Für die Mokra-Dörfer gibt es ein Programm zur Entwicklung des Agro-Tourismus, wodurch die erforderlichen Investitionen zu 70% gefördert werden. Neben den Königsgräbern von Selca e Poshtme (UNESCO-Weltkulturerbe) gibt es in dieser Region eine Reihe weiterer Natur- und Kulturdenkmäler, wie das Kloster der Shën Marena, der Canyon von Llënga, die Seen von Lukova u.a, die zu Tourismuszielen ausgebaut werden sollen.
Auch die Attraktivität der Stadt Pogradec selbst wird weiter erhöht werden. In diesem Rahmen soll die bisher völlig vernachlässigte Burg von Pogradec – der Stadthügel, auf dem die alte illyrische Stadt Enchäleana stand – zugänglich gemacht und die archäologischen Relikte wieder sichtbar gemacht werden. Auch die Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in der Altstadt von Pogradec sollen restauriert werden: sechs zweigeschossige Häuser in den Stadtvierteln „Naim Frashëri“ und „Toplea“.
Die Fußgängerzone entlang des Seeufers soll bis Drilon ausgebaut werden. In diesem Bereich plant die Stadt die Anlage von Sportplätzen und Sporteinrichtungen. Dort liegen auch die vier Villen des „Bllok“, dem Wohnbereich der früheren sozialistischen Nomenklatura. Angedacht ist, Haus 1 als Jugendzentrum und Haus 2 als Künstlerbegegnungsstätte zu nutzen. Haus 3 soll dem Sportzentrum zugeordnet werden, und im Haus 4 schließlich soll das Heimatmuseum der Stadt untergebracht werden.
Auch der alte Erholungspark von Drilon bedarf einer dringenden Erneuerung. Die durch starke Karstquellen gespeisten kleinen Teiche und Kanäle eigenen sich für den Verleih von Freizeitbooten. Außerdem möchte die Stadt gerne einen Ausflugsdampfer beschaffen, der Touristen auch über den See in die nordmazedonischen Orte Ohrid und Struga bringen könnte.
Es bleibt abzuwarten, welche dieser zahlreichen Pläne und Ideen tatsächlich umgesetzt werden. Bürgermeister Ilir Xhakolli hat für die Stadtverwaltung das Motto vorgegeben:
Puno në heshtje!
Lejo suksesin të bëjë zhurmë për ty!
(Arbeite im Stillen und lasse
den Erfolg für dich Lärm schlagen!)
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