Frieder Weinhold hat offensichtlich die Gabe, Menschen aus ganz unterschiedlichen Richtungen zusammenzubringen: Aus Nord- und Süddeutschland, Österreich und Albanien, Christen und Nichtchristen, Helfer, LKW-Fahrer, Offroadfans, das NDR-Fernsehteam… Die Zusammensetzung unserer Gruppe änderte sich fast jeden Tag, und dennoch erlebten wir ein sehr gutes, bereicherndes Miteinander. Ich persönlich habe es sehr genossen, nicht „Fremder“ zu sein, sondern Teil eines Teams, das durch die vielen einheimischen Mitarbeiter und die langjährige Arbeit des CHW in Albanien zu Hause ist.
Unser Ziel war das Bergdorf Holtas. Nach drei Tagen Autofahrt, dem Zusammentreffen des Teams in Elbasan, einer weiteren Übernachtung in Gramsh und der mehrstündigen Fahrt mit Geländefahrzeugen über Schotterpisten, mit Bachüberquerungen und abenteuerlichen Serpentinen standen wir tatsächlich auf dem Platz vor der Dorfschule, in der wir diese Woche wohnen würden. Besondere Kennzeichen: Eine phantastische Aussicht auf die Berge und den Sonnenuntergang, nach kurzer Zeit die ersten neugierigen Kinder, und später ein Sternenhimmel, wie man ihn nur so weitab der Zivilisation zu sehen bekommt.
Am Ende des Tals, am Ende der Straße
Die abgelegenen Bergdörfer sind eine Welt für sich, selbst für albanische Verhältnisse. Das hat viel mit der abgeschiedenen Lage zu tun, aber auch mit der einfachen Lebensweise, die sich dadurch erhalten hat, mit der extrem starken Bodenerosion – und mit den äußerst gastfreundlichen und fröhlichen Menschen von Holtas, die uns dort für eine Woche herzlich aufgenommen haben. Die Familien dort leben sehr einfach in traditionellen Steinhäusern, die innen aber mit Teppichen und Möbeln gemütlich eingerichtet sind. Es gibt Strom, Fernsehen und Wasser aus örtlichen Quellen, um die Häuser herum liegen Gärten und kleine Felder.
Elementare Armut ist für die meisten Dorfbewohner nicht das Problem. Schwierig ist, dass es keine richtige Straße nach draußen gibt. Wer krank wird, hat dadurch ein doppeltes Problem. Und wer arbeiten und Geld verdienen will, muss fortziehen. Dazu kommt ein weiteres großes Problem: Die Erosion. Der Boden besteht aus relativ losem Material. Ausgelöst durch Schneeschmelze und Frühlingsregen rutschen ganze Berghänge davon. Mitten durch das Dorf Holtas ist in den letzten drei Jahren eine riesige Erosionsschlucht entstanden; das Haus einer alten Frau steht am oberen Rand wie an einer Klippe und führt die dauerhafte Bedrohung ständig vor Augen.
Dennoch begegneten uns die Menschen mit einer Fröhlichkeit und Herzlichkeit, die sich kaum mit Worten beschreiben lässt. Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass wir tatsächlich Teil der Dorfgemeinschaft sein würden. Das liegt an der tief verwurzelten albanischen Gastfreundschaft, aber sicher auch daran, dass Frieder schon seit vielen Jahren regelmäßig nach Holtas kommt – und erwartet wird: „Wann kommen die Deutschen wieder?“ wird Xhavier immer wieder gefragt, der ehemalige Schuldirektor, der Frieders Team damals einlud, in sein Dorf zu kommen.
Auch dieses Jahr brachten wir eine große LKW-Fuhre an gespendeten Mitteln: Bananenkartons mit Kleidern, Schuhen etc. für jede Familie in Holtas und den Nachbardörfern, Tische und Stühle für die Schule in Porocan, medizinisches Verbrauchsmaterial. Die ganze Woche über besuchten wir die Häuser, nachmittags gab es Treffen für Kinder, für Frauen und Männer. Für die Jugendlichen waren der Volleyball und ein improvisiertes Netz bereits das Highlight. Am letzten Abend gab es (anlässlich Frieders Geburtstag) ein großes Fest für das ganze Dorf mit Liedern und Predigt, Beiträgen der Kinder und des Bürgermeisters, Essen und Wein, und dann (ganz selbstverständlich) traditionellen Tänzen bis Mitternacht.
Praktizierte Nächstenliebe
„Begegnungen auf dem Weg“ hatte Frieder das Motto des Dorffestes genannt. In Holtas waren es sehr viele und sehr herzliche Begegnungen. Dennoch kamen wir immer wieder an Grenzen. Die Sprachgrenzen ließen sich mit Händen und Füßen und mit Hilfe der Übersetzer meistern. Bei den Hausbesuchen brachte Bashkim Verbandsmaterial und andere elementare Mittel mit, aber bei schweren Fällen wie dem querschnittsgelähmten Mann oder dem Mädchen mit Hirnschädigung aufgrund einer früheren Infektion konnten wir medizinisch nicht weiterhelfen. Ebensowenig dem Mädchen, das so gerne ein Englisch-Schulbuch hätte und am liebsten mitgekommen wäre, um in Deutschland zur Schule zu gehen.
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Porocan hat bei einem Treffen deutlich seine Dankbarkeit für die Unterstützung aus Deutschland ausgesprochen – und ebenso deutlich, dass weitere Hilfe notwendig ist. Das war für uns alle offensichtlich, auch für die Albaner in unserem Team. Ich spüre bei allen Beteiligten den Wunsch, Ideen für weitere konkrete Hilfsprojekte zu erarbeiten. Und ich denke, dass sich viele Türen zu weiteren Unterstützern öffnen werden, so dass der Weg in Holtas noch lange nicht zu Ende ist.
Fotos: Matthias Pommranz