Sa. 12.03.: Start in Wismar
Die Fahrt nach Rumänien hat für mich eine Woche gedauert. Am Samstag starteten wir gegen 13 Uhr in Wismar; alle Fahrer waren ab 10 Uhr vor Ort. Ein Konvoi mit 8 Fahrzeugen ist zusammengekommen.
Zunächst ging es bis kurz vor Tschechien. Übernachten auf 700 Meter Höhe. Es war windig und kalt – nicht unbedingt das, was man sich von einer Reise in den Süden vom Wetter erhofft. Essen, schlafen und weiter. Die zweite Übernachtung dann schon in Arad (Rumänien). Auch hier schlafen, essen und weiter. Am Abend des dritten Reisetages sind wir in Tulcea (Rumänien) angekommen, dem Ziel der Reise.
Mi. 15.03.: Tulcea
Nach dem Frühstück erst einmal ein wenig Zeit zur eigenen Verfügung. Ich bin mit Holger über einen Markt in der Nähe gegangen.
Am Vormittag musste mit der Stadt abgeklärt werden, wo die Hilfsgüter abzugeben und wo ukrainische Geflüchtete aufzunehmen sind. Das war alles in einer Stunde geklärt und es ging schnell zu den Fahrzeugen. Wir sind zu einem Umschlagplatz gefahren, wo wir unsere Hilfsgüter abladen konnten. Spätestens hier wurde allen klar, wofür diese Reise unternommen wurde. Das Lager war voller Hilfsgüter, LKW wurden beladen und verließen in kurzen Abständen wieder das Lager. Ukrainische Kennzeichen. Sich klarzumachen, dass die Fahrer nun nicht nur in das Kriegsland, sondern vermutlich in umkämpfte Gebiete fahren, machte schon nachdenklich. Das alles vor Ort zu sehen ist etwas anderes als Nachrichten im Fernsehen.
Nach dem Abladen blieb nicht viel Zeit: Auf zum Grenzübergang Isaccea. Hier bildet die Donau die Grenze zwischen Rumänien und Ukraine. Rauch auf der Ukrainischen Seite; vielleicht Kampfhandlungen, vielleicht aber auch nur ein Brand – man weiß es nicht. Wie auch immer.
Als Hilfsverein hatten wir die Erlaubnis, dort Flüchtlinge aufzunehmen. Wir warteten vor dem Aufnahmelager. Die Menschen kommen mit der Fähre über die Donau, werden im Lager zunächst registriert und versorgt. Plötzlich die Aufforderung, der Konvoi solle sich zur Aufnahme der Flüchtlinge einreihen. Hektik. Die zugewiesenen Personen kamen mit leichtem Gepäck zu den Fahrzeugen, die Stimmung war ein wenig wie vor einer Busreise. Schnell mussten wir das Lager wieder verlassen, da bereits die nächsten Fahrzeuge ihre zugewiesenen Menschen aus der Ukraine aufnehmen wollten.
Dann begann der zweite Teil der Reise: Die Heimfahrt mit den Geflüchteten. So langsam kam die Erkenntnis, dass diesen Menschen, außer dem bisschen Gepäck, nichts geblieben ist. Sie wissen nicht, ob sie nächsten Monat oder nie wieder in die Ukraine zurück können. Das war dann doch ein deutlicher Unterschied zu einer normalen Busreise.
Auf der Rücktour hörten wir die persönlichen Geschichten. Ein Vater durfte ausreisen, obwohl Männer doch eigentlich nicht ausreisen dürfen: Seine Frau wurde in den vergangenen Tagen erschossen und er muss sich nun um die drei Kinder kümmern. Eine andere Familie aus Mykolayjiw hat auf der Fahrt erfahren, dass ihre Stadt angegriffen und weitgehend zerstört wurde. Viel Verständigung war nicht möglich und die Fahrt war für alle anstrengend. Ich hatte die etwa einjährige Lisa an Bord, die nicht gerne Auto fahren mag und den gesamten Rückweg geschrieen hat.
Do. 16.03.: Rückfahrt mit den Flüchtlingen
Aber der Reihe nach. Erste Nacht hinter Bukarest. Es gab einen Schlafplatz zu wenig – ein Flüchtling musste in meinem Schlafsack übernachten. Da das Zimmer ungeheizt war, haben wir in Schuhen, Jacken und allen Klamotten geklappert, die zur Verfügung standen. Es gab nur ein dünnes Laken als Decke.
Neuer Morgen, neue Fragen für unseren Konvoi: Über Ungarn oder Serbien zurückfahren? Nach „Für und Wider“ die Entscheidung für die ungarische Grenze. Dort hat das Einreise-Prozedere einen ganzen Arbeitstag gedauert. Endlich alle in Ungarn, es war schon dunkel. Für alle warmes Essen an der Raste und weiter. Ein Hotel in Brno (Tschechien) war gebucht. Ein zweites Hotel hatte die Reservierung storniert, also neuer Plan: Ein paar Autos sollten bis nach Deutschland durchfahren.
Fr. 17.03.: Ziel Flensburg
Mit zwei Fahrzeugen sind wir um 6 Uhr morgens im Hotel angekommen. Lisa hatte unterwegs nicht viel geschlafen.
Auschecken um 12 Uhr und zum Frühstücken an die nächste Raste. Für alle Kaffee, und Snacks, wer wollte. Irgendwie ein Kaffee zu wenig – als der Fahrer des anderen Fahrzeugs zugreifen wollte, war das Tablett schon leer.
Hier haben wir uns getrennt. Ab nun also alleine in einem Fahrzeug mit Lisa und ihren Angehörigen weiter. Die Familie in meinem Bus hat Angehörige, die sie am Flensburger Bahnhof abholen können. Ich überlege und kalkuliere: Flensburg ist an dem Tag nicht zu erreichen, auch kein Bahnhof, von dem aus die Familie am gleichen Tag Flensburg erreichen könnte. Die Bahn wäre durchaus eine Alternative zur Straße, da der ukrainische Pass zur kostenlosen Beförderung mit der Bahn berechtigt. Es verdichtet sich: Mindestens eine weitere Nacht wird nötig sein.
Wir müssen stoppen. Lisa hat sich vom Schreien übergeben, die Familie reinigt notdürftig den Bus. Ich rufe einen Studienfreund an. Er hat nördlich von Berlin Ferienhäuser (CountryCamping Tiefensee). Er würde sich wieder melden. OK, fahren wir weiter. Wir stoppen erneut, da sich Lisa erneut vom Schreien übergeben hat. Die Familie reinigt. Mein Freund ruft zurück und vermeldet, es ist alles organisiert für die Ankunft. Topp – was immer er meint, es gibt ein Ziel.
Gegen 21:15 Uhr erreichen wir Tiefensee. Mein Freund hat gehalten, was er versprochen hat: Delfina ist einkaufen gefahren und hat den Kühlschrank im Ferienhaus aufgefüllt. Ein Mitarbeiter stammt aus der Ukraine und hat seine Familie vor Ort. Er konnte schon während der Fahrt mit unserer Familie reden und sie beruhigen. Es war warmes Essen vorbereitet und Babynahrung eingekauft.
Sa. 18.03.: Mission erfüllt
Die Ukrainer vor Ort haben mit den Neuankömmlingen gesprochen und entschieden, dass zwei Nächte für die Weiterfahrt nötig seien. Ja klar, kein Problem. Den Tag nutzte ich, um Bus und Anhänger zu reinigen. Immerhin haben da 6 Personen 3 Tage lang gelebt.
Nach der zweiten Nacht wollte die Familie bloß noch ab zum nächsten Bahnhof, da Lisa nicht gerne Auto fährt. Das habe ich zwischenzeitlich mitbekommen. Also auf nach Werneuchen. Um 9 Uhr fuhr der Zug los. Danach habe ich mir erst einmal ein Käffchen und eine Laugenstange geholt. Das alles waren viele Eindrücke.
Wenige Stunden später, zurück in Wismar, erhielt ich die Nachricht, dass die Familie gegen 15 Uhr wohlbehalten in Flensburg ankam und abgeholt wurde. Mission erfüllt – ein paar Menschen aus dem Krieg in Sicherheit gebracht.
Fotos: Martin Wilck, Tim Probsthain