Gastfreundschaft in einem albanischen Bergdorf, mit bäuerlichem Essen aus eigener Produktion

Guten Appetit: Essen und ­Essgewohnheiten in Albanien

Albanienkenner Jochen Blanken gibt einen Überblick über die albanische Küche. Neben traditionellen Gerichten, Einflüssen und Gewohnheiten gehören dazu auch moderne Trends.

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Die heutige albanische Küche ist ein lebendiger Mix aus orientalischen, mediterranen und innerbalkanischen geschmacklichen Einflüssen und Gerichten. Traditionell ist sie – wie fast die gesamte Balkanküche – durch die Küche des osmanischen Reichs geprägt. Viele der heute typischen Gerichte tragen bis heute alte türkische Namen; aus dem ­Balkanraum dagegen kommen die eher fleischlastigen Rezepte. Seit der Öffnung des Landes nimmt die leichte mediterrane Küche immer größeren Raum ein, die viele Emigranten in Italien kennengelernt und nach Albanien gebracht haben.

Neben diesen allgemeinen Trends gibt es starke regionale Unterschiede und besondere lokaltypische Gerichte, die in den Familien tradiert worden sind und sich in Restaurants nur langsam einen Platz erobern. Nachdem Albanien von ausländischen Restaurants aller Art, von italienischen bis chinesischen, überrollt worden war, nehmen in den letzten Jahren die Restaurants deutlich zu, die sich speziell der Bewahrung und Pflege der albanischen Küche widmen. Die Vielfalt der Speisen und Getränke ergibt sich aus der Abgeschiedenheit vieler Gebiete Albaniens, die früher nur wenig miteinander im Austausch standen.

Brot, Käse, Gemüse – die Grundlagen

„Ne hamë bukë“ („Wir essen Brot“) lautet die Aufforderung, sich zu Tisch zu setzen. Daraus wird klar: Ohne Brot gibt es keine Mahlzeit. Es ist das traditionelle Hauptnahrungsmittel. Zum kräftigen Stück Brot gehören ein ordentliches Stück Schafskäse, ein paar Oliven und Tomaten, Paprika oder Gurke – fertig ist eine zünftige albanische Brotzeit.

Ein traditionelles Frühstück besteht aus einer Portion pilaf (Reis), djathë i bardhë (Brot mit Schafskäse), sallam (gebratene Wurst) oder auch ein Löffel Hackfleischsoße über den Reis, dazu hudhër (frischer Knoblauch) oder qep të njoma (Lauchzwiebeln).

Frühaufsteher können in albanischen Gaststuben ab etwa sechs Uhr viele Einheimische vor einem großen ­Teller Suppe sitzen sehen. Diese paça ist so beliebt, dass sie morgens oft schon sehr früh ausverkauft ist. Für gesundheitsbewusste Mitteleuropäer stellt eine Paça eine Herausforderung dar – sie zu verzehren, kostet Überwindung. Die obere Schicht der Suppe ist ein großes Fettauge mit allerlei undefinierbaren Fleischstücken (Hirn, Zunge, Fett) darin, denn dafür wird ein Schafs- oder Rinderkopf (seltener auch Pfoten) ausgekocht. Alles, was davon essbar ist, findet sich in dieser Suppe wieder. So etwas auf nüchternen Magen? Nun, wer ein kräftiges Frühstück – womöglich mit einem Glas Rotwein – liebt und sich über den etwas ungewohnten Anblick hinwegsetzen kann, wird einer Paça, nach Belieben mit einem Schuss Essig abgeschmeckt, sicher etwas abgewinnen. Nach einer feuchtfröhlichen Nacht gibt es kaum etwas Besseres gegen den Kater. Alternativ dazu kann man morgens auch einen Teller tasqebap, eine schmackhafte Gulaschsuppe, bekommen.

Street food: Albanisches Byrek lieben auch die Touristen
Street food: Albanisches Byrek lieben auch die Touristen
Menukarte
„Das Erholungsheim Dardha bietet Ihnen: Fleisch aus dem Rohr; Weißkohl im Teigmantel, in Asche gegart; Forelle aus dem Ofen; Schnecken von hier“

Fotos: Jochen Blanken

In ganz Albanien bieten Imbissstuben und kleine Läden diverse Arten von byrek an. Diese Blätterteigtaschen werden unterschiedlich gefüllt, mit Schafskäse, Hackfleisch, verschiedenen Gemüsen und anderen Füllungen. Byrek ist das wichtigste albanische Fast-Food. Fast genauso verbreitet und beliebt sind qofte, kräftig gewürzte Frikadellen, aus der Hand gegessen, begleitet von frischem Knoblauch oder Lauchzwiebeln werden sie gerne zum Bier bestellt.

Gedeckter Tisch für die Gäste

Ein großes Essen gehört zm Wichtigsten, das die Albanische Gastfreundschaft gebietet. Dafür ist kein Preis zu hoch und kein Aufwand zu groß, denn dem Gast gebührt die ganze Anerkennung – das verlangt allein die Ehre des Gastgebers. Ein Sprichwort dazu lautet:

Kush ndan, o qesh, o qan!
(Wer verteilt, lacht entweder oder weint)

So ein Festmahl besteht aus zahlrei­chen Gängen, beginnend mit meze (kleinen Vorspeisentellern), gebratenem Gemüse, angemachten Oliven, Innereien oder japrakë (mit Reis gefüllten Weinblättern). Darauf folgen Fleischgerichte: in erste Linie mish qëngji/dele (Lamm/Schaf), dann mish viçi/lope (Kalb/Rind) oder mish derri (Schweine­fleisch), oft noch gefolgt von pulë (Geflügel, Huhn) oder gjel deti (Truthahn) und/oder Fischgerichten. Eine besondere Spezialität, die nur den besten Freunden oder Ehrengästen gereicht wird, ist kokë qëngji (ein gebratener, halbierter Lammkopf). Diese „Ehre“ ist heute bei Albanern, die in Kontakt mit Ausländern stehen, nicht zu befürchten. In traditionellen Familien kann der Geehrte diesen „Genuss“ ­allerdings nur dadurch umgehen (ohne beleidigend aufzutreten), dass er eine andere Person für würdiger erklärt und dieser Person seinen Lammkopf weiterreicht.

Auf die Fleischgänge folgen die Torten und Kuchen. Gebäck ist im Allgemeinen sehr süß, und einige Kuchen müssen geradezu in Zuckerwasser schwimmen. Das gilt besonders für das obligatorische Festgebäck bakllava, das ist ein großes rundes Blätterteiggebäck aus vierzig und mehr hauchdünn ausgerollten Teiglagen, gefüllt mit Nüssen und Butter.

Gutes und reichliches Essen gehört zu jeder Feier, bildet aber keinen besonderen Teil des Abends, sondern zieht sich neben dem allgemeinen Programm stundenlang hin, möglicherweise unterbrochen von kurzen Ansprachen, gemeinsamen Gesängen, Gruppen- oder Paartänzen und anderen Musikeinlagen. Es kann vorkommen, dass die ganze Gesellschaft ausgerechnet in dem Moment zu einem Reigentanz aufspringt, in dem ein neuer Gang aufgetragen wird. „Nuk prish punë“ – macht nichts, das Essen kann die Viertelstunde warten. Es stört niemanden, selbst Hammelfleisch oder eine fette Suppe kalt zu essen. Einen Tanz mit der Erklärung „ich esse gerade“ abzulehnen – ein solcher Korb würde auf Unverständnis stoßen.

Was wäre ein Fest ohne Raki

Raki bedeutet im Albanischen „klarer Branntwein“. Vorherrschend ist dabei raki rrushi, der aus vergorenen Trauben gebrannt wird und ein feines Fruchtaroma entwickelt. Der beste ist raki perla
von ausgelesenen, vollreifen Beeren, möglichst doppelt gebrannt. Alba­ni­scher Raki hat keine Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen türkischen Anisschnaps, sondern kommt dem italienischen Grappa nahe; er ist jedoch im Gegensatz zu Grappa kein Trester-Brand, sondern ein Vollbrand aus der ganzen Frucht. Auch andere Früchte, Zwetschgen, Kirschen, Brombeeren usw. werden zu Raki gebrannt. Besonders aromatisch ist raki mani (Maulbeer-Raki), eine Seltenheit, da er fast nur in wenigen Dörfern bei Korça gebrannt wird. Schnapsbrennen ist oft die besondere Kunst der Großmutter – das Brennen für den Eigenbedarf ist erlaubt –, und so setzt fast jede Familie ihren Stolz darein, dem Besucher Selbstgebrannten zur Begrüßung anzubieten. Dabei reicht die Hausfrau genau abgezählte Gläschen Raki für die Männer und Likör für die Frauen auf einem Tablett (vergreift sich der unerfahrene Ausländer, gerät die Begrüßungszeremonie durcheinander). Natürlich wird der Raki begutachtet und gebührend gewürdigt. Das einhellige Lob lautet dann: „Të lumshin duart“, „Wunderbar sind deine Hände“ – die einen so guten Raki brennen können.

Bei allen regionalen Unterschieden ist vaj ulliri (Olivenöl) die Basis der gesamten albanischen Küche. Es findet seine Anwendung für Fleisch und Fischgerichte, Vorspeisen und Salate, wird aber auch häufig für Süßspeisen und Kuchen benutzt. Auf dem Tisch dürfen neben Salz und Pfeffer und dem Teller mit Brot die Flaschen mit Essig und Olivenöl niemals fehlen; diese finden ungeachtet des beachtlichen Ölgehalts vieler Speisen noch zusätzlich reichlich Zuspruch.

Herstellung von Bakllava – das Ausrollen der hauchdünnen Blätter ist eine Kunst
Herstellung von Bakllava – das Ausrollen der hauchdünnen Blätter ist eine Kunst
Bauern liefern Oliven zum Pressen an
Bauern liefern Oliven zum Pressen an
Traditionelle Käseher­stellung in Kurvelesh
Traditionelle Käseher­stellung in Kurvelesh
Cironkë/Ukelei, frisch gefangen aus dem Prespa-See
Cironkë/Ukelei, frisch gefangen aus dem Prespa-See

Fotos: Heidi König, Jochen Blanken

Regionale Traditionen

Traditionell war Viehzucht wegen der bergigen Landesoberfläche der Hauptzweig der Landwirtschaft. Neben Fleischgewinnung kam der Verarbeitung von Milch große Bedeutung zu. Im ganzen Land gab es nur zwei Sorten Käse, die in einzelnen Regionen jedoch unterschiedlich ausfallen konnten: djathë i bardhë (weißer Frischkäse) und kaçkavall, ein etwas länger abgelagerter Hartkäse. Kos (Dickmilch oder Jog­hurt) wird frisch gegessen oder bildet die Grundlage vieler Gerichte. Dhallë, mit Wasser vermischter, gewürzter Jog­hurt, bei uns als türkischer „Ayran“ bekannt, ist als erfrischendes Kaltgetränk im Sommer sehr zu empfehlen, genauso Tarator, eine kalte Joghurtsuppe mit Gurken und Knoblauch.

Das Mittelmeerklima, das in weiten Teilen Albaniens (besonders an der Küste) vorherrscht, hat natürlich auch eine mediterrane Küche hervorgebracht. Vor allem der Reichtum an frischem, schmackhaftem Obst und Gemüse sticht hervor. In allen Küsten­städten gibt es ein großes Angebot von Fischen und Meeresfrüchten. ­Einfache Lokale in den albanischen Lagunen an der Küste locken häufig mit großartigen Fischplatten. So werden etwa im See von Butrint schmackhafte Miesmuscheln, midhje, gezüchtet. Häufig wird ein Essen dort mit einem kleinen Vorspeisensortiment aus kurz angebratenem Gemüse und Meeresfrüchten eröffnet.

Die Gerichte im Landesinneren sind dagegen, angesichts der oft kalten Winter, stärker auf Bevorratung und Haltbarmachung angelegt. So ist ­Korça bekannt für selbstgemachte Nudeln und Eintöpfe. Auch turshi, sauer eingelegtes Gemüse, und lakër turshi, sauer­krautähnlicher Weißkohl, werden dort häufig angeboten. Unterschiedliche Gerichte, die in heißer Asche gegart werden, sind für Korça typisch. Zu empfehlen sind dort auch petula, in heißem Fett ausgebackene Hefestückchen, zu denen Schafkäse oder kime (gebratenes Hackfleisch) serviert wird. Eine andere albanische Spezialität, kukurec (Innereien und Fleischstückchen, die mit Darmschlingen vom Lamm umwickelt werden, ähnlich wie ein Rollbraten) sind nicht unbedingt jedermanns Sache.

Der koran, eine nur im Ohrid-See vorkommende Lachsforelle, ist sehr schmackhaft. Das zarte, rosarote Fleisch ist in jeder Form ein Genuss und bleibt im Salzmantel besonders saftig und aromatisch (peshku koran në kripë). Speziell in Pogradec wird er auch gerne mit Walnüssen zubereitet (tavë peshku koran me arra).

Ähnlich wie „koran“ wird in Shkodra der Karpfen zubereitet. Insbesondere die Lokale in Shiroka, dem auf der gegenüberliegenden Seite der Buna gelegenen Stadtteil von Shkodra, sind für die Zubereitung von Karpfen aus dem Shkodra-See bekannt. Geniesser empfehlen dort tavë krapi Shkodrane, Karpfen im Tontopf mit Knoblauch und Zwiebeln. Sehr beliebte Süßwasserfische sind auch Forellen (troftë), die im ganzen Land zu bekommen sind und in den klaren Bächen aus den Bergen gehalten und gezüchtet werden. Fleisch oder Gemüse in gestocktem Joghurt (fergesë Tiranë und tavë Elbasan) sind typische Gerichte in Mittelalbanien.

albanische Landküche
albanische Landküche
Gemüse und Gegrilltes: Viele Restaurants bieten traditionelle albanische Landküche

Fotos: Matthias Pommranz

Gekocht oder vom Grill?

Um sich bei der Auswahl der Gerichte orientieren zu können, ist es ist von Vorteil, die wichtigsten Zubereitungsarten zu kennen:

  • gatim/i: Kochen als Nahrungs­zubereitung, nicht aber Kochen im engeren Sinne (von Flüssigkeiten)
  • i, e skuqur: gebraten (in der Pfanne)
  • i, e pjekur: gebacken oder langsam im Backofen gegart (wörtlich: gereift)
  • i, e zier: gekocht (in Wasser)
  • në/nga furrë: aus dem Backofen
  • në/nga tavë: im Tontopf, Tongeschirr (für Eintöpfe und soßen­reiche Gerichte)
  • në zgarë: vom Grill
  • në hell: am Spieß
  • në/nga tigan: aus der Pfanne
  • në/nga prrush: in Asche, eine spezielle ­albanische Art der Zubereitung von Speisen, bei der das Kochgeschirr in heiße Asche gestellt wird
  • pa pjekur: roh, ungekocht, unreif

Und natürlich Süßes

Schließlich sollen auch noch einige der vielen albanischen Nachspeisen und Süßigkeiten erwähnt werden. Zu Weihnachten und Neujahr gehört neben der Baklava auch llokume, eine Süßspeise auf der Basis von Maisstärke mit Nüssen, auf den Tisch. Zahlreiche Süßigkeiten werden in Zuckersirup (sherbët) angeboten, etwa kadaif oder revani. Eher trockene, krümelige Kekse sind dagegen sheqerpare, ballokume, hallva und gurabie. Zum Abschluss des Fastenmonats Ramadan wird insbesondere in den Familien mit Bektashi-Tradition ashure oder auch hashure (ein feiner Getreidebrei mit Honig, Nüssen und Granatäpfelkernen) hergestellt.

Viele Kochbücher in albanischer Sprache zielen ganz offensichtlich darauf ab, den albanischen Menschen die mitteleuropäische Küche, insbesondere die französische und italienische zu vermitteln. Dahinter braucht sich aber die albanische Küche nicht verstecken. Es wäre zu wünschen, dass sie auch international die ihr gebührende Anerkennung findet.

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